Boahnl schnauft erstmals an die Spitze aller sächsischen Schmalspurbahnen

Sächsische Zeitung 07.03.2024
Von Markus van Appeldorn

Die Zittauer Schmalspurbahn ist auf Rekordkurs – und für den gesamten Tourismus der Region etliche Millionen Euro wert.

Ingo Neidhardt, Geschäftsführer der Zittauer Schmalspurbahn, am Vorstadtbahnhof in Zittau. © MatthiasWeber/photoweber.de

Ingo Neidhardt, Geschäftsführer der Zittauer Schmalspurbahn, am Vorstadtbahnhof in Zittau. © Matthias Weber/photoweber.de

 

Ingo Neidhardt, Geschäftsführer der Sächsisch-Oberlausitzer Eisenbahngesellschaft (Soeg) als Betreiberin der Zittauer Schmalspurbahn, hat einen für Dampflokfans beneidenswerten Arbeitsplatz. Oft am Tag halten direkt unter seinem Bürofenster am Zittauer Vorstadtbahnhof die Dampfzüge. In diesen Tagen macht ihm seine Arbeit ganz besonders Spaß. Denn nun kann er verkünden: Aus der Corona-Krise heraus dampft das Boahnl wieder auf Fahrgast-Rekordkurs – und erstmals an die Spitze sämtlicher sächsischer Schmalspurbahnen. Um die Fahrgastzahlen anderer befreundeter Bahnen macht sich Neidhardt indes ein bisschen Sorgen.

Das letzte Vor-Corona-Jahr 2019 brachte einen bis heute einsamen Fahrgastrekord für das Boahnl: 257.449. Diese Zahl, gibt Neidhardt zu, ist aber auch die Schallgrenze: „200.000 Fahrgäste im Jahr sind für uns das Muss, 250.000 aber das Limit“, sagt er. Damals seien die Züge sehr voll gewesen. Und um die Kapazität über diese Zahl hinaus steigern zu können, würde es erheblicher Investitionen etwa in Fuhrpark und Personal bedürfen – das aber sei gar nicht erwünscht. Dennoch: Nachdem im Jahr 2022 wieder die Zahl von 200.000 Fahrgästen erreicht wurde, legten die Schmalspurbahner 2023 noch mal eine ordentliche Schippe Kohle drauf: 243.667. Die Fahrgeldeinnahmen sind damit auch wieder in zwei aufeinanderfolgenden Jahren bei stabil über einer Million Euro.

Quelle: SOEG © Grafik: SZ/G. Grunwald

Wie wertvoll das Boahnl für Tourismus wirklich ist

Dabei sind die Fahrgeldeinnahmen nur die kleinere von zwei Hauptfinanzierungssäulen. Weil das Boahnl zum Öffentlichen Personennahverkehr zählt, machen die vom Verkehrsverbund Zvon überwiesenen Bestellentgelte von 2,6 Millionen Euro den Hauptteil des Umsatzes von insgesamt 4,5 Millionen Euro aus. Reich wird von den Millionen keiner – außer der Region. Der Betrieb und Unterhalt eines Dampfbahnunternehmens sind immens teuer. „Wir machen die Schwarze Null“, sagt Neidhardt. Aber was eben den Wert der Schmalspurbahn für den Tourismus in der Region, insbesondere im Zittauer Gebirge, ausmacht, dafür verweist Ingo Neidhardt auf eine andere magische Zahl: die 7.

„Unseren Umsatz mal sieben – das ist der Wert der Schmalspurbahn für die Region. Wir schaffen mit unserem Unternehmen die siebenfache Wertschöpfung“, erklärt er – also 31,5 Millionen Euro. Heißt: Für jeden Euro, den das Boahnl umsetzt, bleiben sechs weitere Euro bei Betrieben in der Region – etwa weil die Fahrgäste hier übernachten, Gastronomiebetriebe und andere Freizeiteinrichtungen besuchen oder auch Souvenirs kaufen. Neidhardt beruft sich mit dieser Einschätzung auf eine Studie der Hochschule Harz, die diesen Wertschöpfungsfaktor für die Harzer Schmalspurbahn auf ihre Region ermittelt hat. Diese Zahlen ließen sich auf die Zittauer Schmalspurbahn übertragen.

„Die Menschen kämen definitiv nicht in gleicher Zahl hierher ohne die Schmalspurbahn „, sagt Neidhardt selbstbewusst. Und das liegt vor allem an einem: Emotionen. „Die große Bahn ist für die Menschen in den Köpfen und Herzen nur noch ein Fortbewegungsmittel. Aber Schmalspurbahn ist wie Märchenland, wie Modelleisenbahn“, sagt er, und weiter: „Die Erinnerung an eine vermeintlich heile Welt macht den Zauber der Dampfbahn aus. Es tut der Seele gut.“

Nirgends anders in der Republik seien Schmalspurbahnen besser aufgehoben als in Sachsen. „Diese Unterstützung, diesen Schulterschluss, den findet man in keinem anderen Land“, sagt er. Das Boahnl durfte das 2023 ganz besonders erfahren, als Freistaat und Verkehrsverbund zwei extra Geldspritzen für die schnelle Sanierung des teilweisen maroden Streckennetzes locker machten.

Ein Rekord sorgt nur für halbe Freude

Erstmals im Jahr schnaufte das Zittauer Boahnl 2023 mit seinen Fahrgastzahlen an die Spitze aller sächsischen Schmalspurbahnen – ein Rekord, über den sich Neidhardt nur so halb freuen kann. Ausweislich des am Mittwoch im Soeg-eigenen Verlag „SSB Medien“ erscheinenden „Dampfbahnmagazins“ sind insbesondere die Fahrgastzahlen beim langjährigen Spitzenreiter Lößnitzgrundbahn (Strecke: Radebeul – Moritzburg – Radeburg) regelrecht abgestürzt – auf 2023 deutlich unter 200.000 Fahrgäste. Eine späte Folge der Ukraine-Krise.

Damals nämlich wurde die zum Betrieb von Dampfloks nötige Steinkohle nicht nur beinahe unbezahlbar für die Unternehmen, sondern war teilweise schlicht überhaupt nicht zu haben. Ein Großteil der Kohle kam stets aus Polen. Als Polen aber wegen eines Embargos die Einfuhr preisgünstiger russischer Kohle stoppte, wurde in Polen die heimische Kohle in Haushalten verfeuert und deren Export massiv gedrosselt. In der Folge musste unter anderem die Lößnitzgrundbahn ihre Fahrleistungen einschränken – was zu einem dramatischen Verlust von Fahrgästen und ÖPNV-Zuweisungen führte.

Ingo Neidhardt hat immer vorausschauend gewirtschaftet. „Wir haben uns noch mit Kohle eingedeckt, als sie noch erschwinglich war und sind so gut durch die ganz teure Zeit gekommen“, sagt er. Weil man außerdem manche Dampf-Umläufe zeitweise mit einer Diesellokomotive gefahren sei, habe man jeden vom Zvon bestellten Kilometer auch leisten können. Und im April geht jetzt auch noch die gerade auf Ölfeuerung umgebaute Dampflok beim Boahnl in Betrieb. „Das ist eine Investition in die Zukunft“, sagt Neidhardt, und: „Wir sind immer in vollem Umfang gefahren, weil wir wussten, dass eine Reduzierung uns am Ende doppelt kosten würde.“

Glücklich ist er mit der Gesamtsituation aller sächsischen Schmalspurbahnen dennoch nicht. „Insgesamt haben die sächsischen Schmalspurbahnen damit erstmals seit den Corona-Jahren wieder unter einer Million Fahrgäste befördert und sind damit auf den Stand von vor 14 Jahren zurückgefallen“, sagt er – und das sei eben nicht gut für den gesamten Dampfbahn-Tourismus in Sachsen.

Quelle: SZ-online.de
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